Der Weg zu einem Bild

Rede zur Verleihung des Reinhold-Schneider Preises der Stadt Freiburg an Susi Juvan, gehalten von Martin R. Dean, 7. April 2016
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Werte Preisträgerinnen und Preisträger,
Liebe Susi,
man hat mich gebeten, ein paar Worte zur Verleihung des Reinhold- Schneider Preises an Susi Juvan zu sprechen. Dies ist, natürlich, eine Ehre wie auch eine Aufgabe, zuallererst aber eine Freude. Denn Susi Juvan ist nicht nur eine verdiente Preisträgerin, sondern auch eine langjährige Freundin. Befreundet sind wir seit den frühen achtziger Jahren, nachdem die im Bodenseegebiet Geborene und Aufgewachsene mit einem Kleinkind aus den USA nach Freiburg zurückgekehrt war, mit dem festen Entschluss, Malerei zu studieren. Seit jener Zeit verfolge ich ein Leben, das sich ganz der Kunst verpflichtet hat, ein Schaffen, das sich, fast jeden Tag, möchte man sagen, der aufreibenden, der unmöglichen Aufgabe der Kunst stellt. Denn Susi Juvan malt nicht, weil es schick ist, Malerin zu sein, auch nicht, weil sie damit das grosse Geld machen will oder weil sie es an der Akademie gelernt hat. Sie malt, weil sie etwas zu sagen hat, das anders als mit und durch ihre Bilder sich nicht sagen lässt. Ihr Projekt, das im Laufe der Jahre und Jahrzehnte dringlicher geworden ist, ist von einer singulären, beeindruckenden Stringenz. Wichtigen Ausstellungsmachern entging die Bedeutung dieses Werkes nicht, weswegen die Auseinandersetzung, die Juvan in der Stille des Ateliers führt, auch immer wieder in nachhaltigen Ausstellungen nachvollzogen werden konnte. Natürlich hat die Rücksichtslosigkeit, mit der die Künstlerin ein Leben lang ihr Schaffen vorangetrieben hat, auch ihren Preis. Wer sich der Kunst verschreibt, dessen Leben wird alternativlos, es obliegt der Homöostase des täglichen Gelingens und Scheiterns. Aber das war auch bei Kafka so, bei Büchner, bei all denen, die ihr Denken, ihre Sinnlichkeit und den Zweck ihres Daseins nur in der Kunst erfahren können.
Das Juvan-Projekt: Kunst nicht als Divertissement, sondern als Selbstverpflichtung. Nicht als Therapie, sondern als Forschung am Sehen und unserer Wahrnehmung, als Arbeit am Bildkomplex einer Gesellschaft, die bildersüchtig ist. Man muss nicht auf die Selfi-Manie rekurrieren, um zu begreifen: wir haben ein unstillbares Bedürfnis, uns zu sehen, uns sichtbar zu machen, präsent zu sein. Sichtbar machen wir uns seit einem halben Jahrhundert in Fotoalben und auf Superachtfilmen. Epidemisch vervielfältigen wir unsere Sichtbarkeit heute auf auf Facebook und Instagram. Wir sind eine »tagebuchlose« Gesellschaft geworden; dem eigenen Lebenslauf begegnen wir nur noch auf Fotostrecken im Internet. Was nicht sichtbar wird, hört auf zu existieren. Im Pariser Gare de Lyon hängen Dutzende grossformatiger Bilder von jungen Menschen, aufgenommen mit dem neuesten I Phone. Wir schauen zu den Bildern hoch, weil sie verblüffend scharf sind. Was sie zeigen: natürlich DICH und MICH, die Konsumenten des I Phones. Die Rückverwandlung des Bürgers, des Menschen in einen Werbeträger Konsumenten erfolgt meist über Bilder; der Kapitalismus ist die vielleicht bilderfreundlichste Religion, die es je gab. Suggestiv werden wir auf die Bildfläche geholt, je schärfer desto besser.

Juvans Bilder verweigern sich diesem Präzisionsanspruch. Was sie aus Werbebildern macht, sieht man am Beispiel der Serie Flick-Flack aus dem Jahre 2012. Die über die Leinwand verwischten Farbflächen, die sich fast zur Eigenständigkeit aufschwingenden Farbflächen wollen nicht einfach abbilden; sie stehen zuerst für sich selber und verweisen dann auf eine Wahrheit, die nicht in der Tiefenschärfe und Abbildbarkeit ihr Mass hat.
Um die Sichtbarmachung dieser anderen Wahrheit hat Juvan ein Leben lang gerungen. Damit das Sehen und nicht die Apparatur, - die nie etwas anderes als petrifizierte Wahrnehmung ist-, wieder ins Recht gesetzt wird. Wie wir etwas sehen, entscheidet darüber, wie wir damit umgehen. Wie wir uns sehen, beeinflusst unsere Umgebung. Wie wir unsere Umgebung sehen, färbt wiederum auf das ab, was wir entscheiden. Wie wir mit dem Unverständlichen in der Kunst umgehen, hat seine Wirkung auf unseren Umgang mit Menschen, auch mit den Fremden, die zu uns kommen.
Was ist das für eine Freiheit, die das Leben frisst? - Es ist die Freiheit ästhetischer Arbeit. Die Umwandlung des Gesehenen und des Sehens in ein Bild. Diese Freiheit muss immer erst errungen werden. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: ich habe Juvans Ringen mit ihrer Kunst anhand der Bilder über Peter Dreher erlebt. Am Anfang schien die Künstlerin in den Darstellungsmöglichkeiten zu ertrinken, unendlich präsentierte sich die Zahl der möglichen Bilder. In monatelanger Arbeit hat sich Juvan von den Vorformulierungen, hier auch: vom Vor-Bild freigemalt. Sie hat sich auf den Weg zu einem Bild begeben, wobei an jeder Wegbiegung das Scheitern lauerte. »Die ewigen Skrupel, das Zögern und Bedenken, Ändern und Verwerfen! Dieses nicht weiter machen Können und nicht aufhören Können«, so beschreibt der Kunsthistoriker Hans-Joachim Müller hellsichtig die Juvansche Arbeitsweise. Da darf keine Routine sein, bereits Gesehenes wird für ungültig erklärt, dauernde Zweifel an der Wahrnehmungssicherheit begleiten den Prozess der Bildfindung. »Ich will mich selbst aus der Bahn werfen, um in Neuland zu fallen, um auf verborgenen Wegen ein Bild zu finden, das vollkommen unvorhersehbar war«, sagt mir Susi. So geht keine, die den Weg des geringsten Widerstandes geht. Im Gegenteil: der Widerstand wird zum Antrieb, noch weiter zu gehen als nur um die nächste Wegbiegung, bis zum Unausdenkbaren. So entsteht Qualität.
Juvan sucht im Material also den ästhetischen Widerstand. Farbflächen werden übermalt, berichtigt, jeden Tag macht sie einen Schritt vorwärts oder auch zurück. Oft sind, wie in den Katalogen nachzulesen, Fotografien der Ausgangspunkt. Authentisches Material unterliegt einer Rückverwandlung in malerische Fiktion. An den Portraits von Annette von Droste-Huelshoff oder der Pompadour wird dieser Prozess der Anverwandlung und Verfremdung auch in Bezug auf kunstgeschichtliches Material sehr schön sichtbar. Diese Bilder aber handeln weniger von der Travestie ihres Vorbilds als vom Prozess des Malens selber. Und dabei entgleitet sich das Malen. Ja, richtig: die Malerei findet unterhalb der rigorosen Beherrschung ihrer Mittel zu einem traumhaften Farberlebnis. Dieses Sichgehenlassen auf höchstem Niveau gehört m.E. ganz spezifisch zum Juvanschen Stil. Nicht der Wille weist zuletzt den Weg, sondern die am Objekt entzündete Imagination. Bilder müssen im Endstadium »geschehen«; das Gelingen kann nicht anders sein als dass die Momente des Nichtgewollten, Nichtintendierten sich Bahn brechen: das macht für mich die Schönheit und Farbigkeit dieser Bilder aus.
Natürlich werden die Vorgaben immer auch deformiert; ästhetische Gewalt ist im Überzeichnen und Verformen am Werk. Eine Gewalt, die als Arbeit wieder auf den Betrachter zurückgeht: Juvans Bilder sind sperrig ebenso wie sie ein Rausch sind, sie wollen mit höchstem Kunstverstand begriffen werden und lassen sich doch am besten als imaginatives Eintauchen in die Farben begreifen.
Wer solche Kunst macht, nimmt diese gegen jede Auftragskunst in Schutz. Wer sich so hingibt, hat Teil am Stoffwechsel von Farbe und Form, entrichtet mit dem dauernden Risiko des Scheiterns auch mit seinem Leben einen Preis. Monoman mag dem einen oder anderen Freund dieses Leben erscheinen; intensiv und sinngebend dürfte es für die Künstlerin sein.

»Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption«, hat Walter Benjamin geschrieben. Susi Juvans Werk will dieses Axiom Bild um Bild widerlegen. Lebendiger und formgerechter findet Malerei hier zu sich selber. Für dieses Glück, das uns die Bilder schenken, ist der Künstlerin zu danken.