Die Zeit malt mit

Das Freiburger Morat-Institut zeigt Werke der Reinhold-Schneider-Preisträgerin Susi Juvan
Herbert M. Hurka
Am gestrigen Sonntag war endlich die Vernissage. Es hat kaum zu glaubende fünf Jahre gebraucht, um die Verleihung des Reinhold-Schneider-Preises an die Freiburger Malerin Susi Juvan mit der fälligen Retrospektive zu bestätigen. Anfangs verhinderten Terminprobleme, später der pandemiebedingte Kulturstillstand, einen angemessenen Ausstellungsort zu organisieren. Nun kooperiert das ursprünglich versprochene Museum für Neue Kunst mit dem Morat-Institut, indem es mit Leihgaben und Logistik hilft. In dem weitläufigen Gebäude ist die Präsentation jetzt bestens untergebracht, denn ein fünf Jahrzehnte überspannendes Werk benötigt den Raumvonmindestens zwei großen Hallen.
Die in der oberschwäbischen Gemeinde Ebersbach geborene Künstlerin studierte nach frühem Amerika-Aufenthalt bei Peter Dreher im Freiburger Ableger der Karlsruher Kunstakademie. Erste Ausstellungen bereits während des Studiums nahmen die bald folgenden Auszeichnungen, Förderpreise, Inlands- und Auslandsstipendien vorweg. Wie einleuchtend diese ersten Erfolge waren, belegen die nach wie vor suggestiven Pastellbilder des Frühwerks aus den 1970ern. Von Ornamenten gesättigte Interieurs schlagen, trotz ihres geradezu demonstrativen Realismus um ins Künstliche. Tapeten, Orientteppiche, Jalousien, schnörkelige Möbel – Muster, so expansiv, dass sie sich beleben wie auf der Haut einer üppigen die Tischbeine umschlingende Python. Frau und Schlange, wie wäre diese Symbolik zu übersehen. Im Mittelpunkt der ins Phantastische überhängenden Szenarien jedoch stets die Künstlerin selbst. Ihre in abenteuerlich-bühnenhaften Umgebungen auftrumpfenden Selbstportraits werden als Deutungen einer genuin weiblichen Psychologie in der Zeitschrift Emma erwähnt.
Die Malerin mit dem »filmischen Auge«
Gleichwohl bot die Drift ins Surreale und Symbolische einen Ausweg aus dem von Peter Dreher gelehrten Realismus, wobei die Ornamentik bereits Übergänge in die Abstraktion ebnete. Zwar noch kaum explizit, so beschäftigte die damalige Meisterschülerin im Studium schon die Frage, wie Motiv und Abstraktion sich ausbalancieren ließen. Demgemäß verselbständigen sich in der Serie »Teiche« (1980) Wasser und Bäume zu autonomen Bildkomponenten, oder die möblierten Innenräume des Triptychons »Drei« lösen sich in Farbintensitäten auf, und auf den zwei Sets »P.A.R.I.S« zeichnet sich deutlich ab, worauf der malerische Dialog von Motiv und Abstraktion künftig hinauslaufen wird. Auch entstehen die jeweils 30 zu Blöcken arrangierten Kleinformate nicht mehr seriell, sondern folgen einer sequenziellen Ordnung: Sich zu Geschichten reihende Gouachen, für deren Beziehungsgeflecht Klaus Theweleit der Malerin ein »filmisches Auge« attestierte. Das ist 1990 und die Erprobung einer reduzierteren Palette.
Auf der von Gebäuden wie einer »Pagode« inspirierten Bildergruppe von Ende 1990 stufen sich hauptsächlich Blautöne ab – ein Kolorit, das bis zu dem neueren »Versailles I-IV« immer wiederkehren wird. Wenn sie für ihre Motive Museen besucht, um beispielsweise mit den »Versailles«-Variationen die höfische Portraitmalerei zu dekonstruieren, so wird hierbei die spezielle Vorgehensweise transparent, den Malprozess permanent mit dem Motiv rückzukoppeln. Die raumfüllende Pose Ludwigs XVI. gliedert das Tableau im Ganzen, während in den Details aus weißer Spitzenhalskrause, Seidenstrümpfen und hohen Absätzen die modischen Requisiten einer eitlen Epoche wiedererkennbar sind. Das reale Konterfei dagegen wird zur Marginalie und verliert sich in einer grauen Zone, um mit den in die Abstraktion befreiten Umgebungen zu Farbimpressionen zu verschmelzen.
In der vergegenwärtigten Geschichte mit dem obligaten Abstecher in die Kunstgeschichte reflektiert sich besonders in diesen historisierenden Gemälden die Zeit als solche, wobei es auch scheint, als malte sie selbst mit. Immer aber erweist sich die Leinwand als ein nur vorsichtig zu eroberndes Terrain. Jeder Fortschritt ist erkauft mit Zögern und Bedenken, Setzen, Löschen, Übermalen, erneutem Verwerfen, gezügelt vom Motiv und losgelassen in reine Malerei. Prozeduren, denen sich nicht nur eine zeitliche und räumliche Tiefenschärfe verdankt, sondern deren technische und motivische Vielschichtigkeit sich in der grandiosen Synthese aufhebt, die Susi Juvan zu einer singulären Malerin macht.