Königlich, clowensk, grandios: Susi Juvan Retrospektiv im Morat Institut Freiburg i. Br.
Silvia Henke, Vernissagerede 10. Oktober 2021
Meine Damen und Herren, liebe Susi,
Es freut mich sehr zu Ihnen zu sprechen hier – an diesem Feiertag der Woche, zur Stunde des Gottesdienstes, die wir ja kaum mehr beachten – aber Anlass zum Feiern gibt es genug: Die Ausstellung von Susi Juvan ist ein Fest der Malerei. Sie ist königlich, sie ist clownesk und grandios. Ich werde versuchen, Ihnen in zehn Minuten zu erzählen, wie diese Adjektive zu mir gekommen sind, es gäbe ja viele andere auch.
Seit vielen Jahren bin ich mit Susi Juvan und ihren Bildern befreundet, seit vielen Jahren gibt es ein Gespräch mit ihr über die Malerei als Arbeits – und auch als Existenzweise. Die überwältigende Fülle, in der wir hier stehen, könnte vergessen machen, dass sich in vielen Bildern ein monatelanges Suchen und Ringen mit dem Bild ereignet hat. Auch das war oft Thema unserer Gespräche. Und es ist Thema der Texte, die sich über die Jahre Susi Juvans Oeuvre gewidmet haben. Da es heute und hier um eine Retrospektive geht, möchte ich auch gern auf diese Texte von prominenten Rednern und Schreibenden hinweisen, die sich auf ihrer Website befinden – eine Website von ähnlicher Eleganz wie diese Ausstellung übrigens. Martin R. Dean etwa stellt den Erkenntniswert des malerischen Prozesses von Susi Juvan gegen die gängige Vermarktung der Bilder sicher und verbindet dabei das Ästhetische mit Wahrheit; Klaus Theweleit rückt die Bildserie P.A.R.I.S. mit ihren Zufällen, ihren gleichgültigen Einzelheiten, Mustern und Schnitten in die Nähe des Filmischen, in dem kein menschliches Augenpaar Regie zu führen scheint; Hans-Joachim Müller schreibt zu ihrer Kunst, sie sei Bildgebung durch Bildentzug, man solle der Verführung der Gegenstände und Motive nicht zu rasch erliegen: ihre vermeintliche Identifizierbarkeit sei ungleich weniger bedeutsam als die Art und Weise, in der die Gegenstände erscheinen und verschwinden. Und Susi Juvan spricht immer wieder von der Rückführung eines Motives zum Bild, als »offene Seinsmöglichkeit«. Das sind nur kurze Ausschnitte, die auf profunde und einfühlsame Weise bezeugen, dass wir es vor diesen Bildern mit einer Schule und auch einem Drama des Sehens zu tun haben. Und damit auch mit dem Drama, dieses in Worte zu fassen.
Und damit möchte ich beginnen: Mit dem Drama, dem Theatralen, das mich sofort angesprungen hat in diesem Reigen von Bildern, Bildserien und Zeiten, mit einem sehr bedeutsamen Ausgangspunkt: dem königlich frechen Selbstporträt der jungen Künstlerin als Malerin in Pastell, die auf ihrem Thron – wie auf einer Bühne die Schlange in Schach hält. Dieser Selbstbehauptung folgt die Würdigung und Ablösung von ihrem «Meister», Professor Dreher, dem sie ebenso intuitiv wie präzis die Augen löscht und damit in ihren Bildern abhebt zu diesem anderen, freieren Sehen. Einem verzitterten, erschütterten Sehen, wie es sich in den «Teichbildern» vollzieht. Im Auf- und Abtauchen der Ente lässt sich dort vielleicht nachverfolgen, wie sehr die Abwendung vom gegenständlichen Motiv immer auch eine Zuwendung geblieben ist.
Wenn ich vom Theatralen dieser Malerei spreche, dann tue ich das nur unter der Voraussetzung, dass jeder Medien- und Gattungsvergleich ungenuügend ist, denn tatsächlich steckt in allen Bildern ja auch das Fotografische, das Filmische und das Lyrische. Und vielleicht liefern uns diese Bilder eben doch den Beweis, dass die Malerei nicht umsonst die Königsdisziplin unter den Künsten ist, weil sie der Wahrheit am nächsten kommt, wie Cézanne und viele nach ihm vermutet oder geglaubt haben
Was also kann ich ihnen noch erzählen? Ich möchte von einer Verblüffung erzählen, die mich am letzten Sonntag befallen hat, als ich die Räume zuerst sah. Die Verblüffung darüber, dass dieses jahrzehntelange Ringen mit sperrigen, drolligen, banalen, zarten, gestochen scharfen oder umrisslosen Motiven auf der Leinwand zuletzt in Leichtigkeit endet. Susi Juvan teilt diese Leichtigkeit der Seherfahrung nur selten, denn sie sieht ja in die Bilder hinein, sie öffnet sie Schicht um Schicht, wenn sie über sie spricht, sie sagt: ja, das ist die Sonne, das ist Droste-Huülshoff, das sind die Seine-Brücken in Paris etc. – während ich als Schauende noch Namen suche für das, was sich meinen Augen bietet. Susi Juvan kennt ihre Motive ganz genau und sie vergisst nicht, was sie alles unternommen hat, um sie unkenntlich zu machen, als ob sie sie erst durch den Bildentzug ganz zu sich genommen hätte. Dann aber, wenn sie zu lachen beginnt, dann wird sie selbst zur Betrachterin, als ob sie der strengen Arbeit der Malerin entwischt und endlich ganz in der Freiheit des Sehens angekommen wäre. Es ist die Freiheit, in welcher man Bilder auch körperlich sehen kann: den Schwung der Linien, das Hüpfen der Farbmotive im Dreiklang, das Schweben eines Blattes, das Wippen einer Schuhspitze, das Bauchige einer Vitrine, das Aufgesetzte eines Kragens. Wenn die Malerei, ähnlich wie die Fotografie ein punctum hat, ein Detail, das uns hält und besticht und das vermeintlich gar nichts mit dem Bild zu tun hat – dann können wir dies eventuell auch körperlich wahrnehmen wie ein Hüpfen. Und viele von Susi Juvans Bildern halten ein solches punctum bereit wie einen kleinen, aber unvermeidlichen Tribut an ihre Herkunft aus der Fotografie. Roland Barthes hat das punctum aus der allgemeinen Bildaussage herausgelöst als ein atopisches Element, das aus dem Zusammenhang herausschiesst und den Betrachter, die Betrachterin unversehens trifft und besticht. Ein Stich, ein Fleck – hier, um zur Malerei zurückzukehren oft ein Farbfleck, der sich emanzipiert hat in einer Komposition. Dieses bestechende Detail kann also eher körperlich als intellektuell erfahren werden. Es führt über das Theatrale des Bildbühnenraums hinaus - ins Reich des Akrobatischen, das von Kunststücken und Bewegungen beherrscht wird.
Das Akrobatische taucht im Bilderkosmos immer wieder auf – zunächst auf der Ebene der Figuren, in den Zirkusmotiven, den Maskaraden und komplizierten Kostümen. Und es hat bei Susi Juvan eine Entsprechung im Gestus ihrer Malerei. Vielleicht nirgends wird es so ausformuliert wie in der 5-teiligen Serie Flick-Flack! Die schon mit ihrem Titel den Takt eines Spiels angibt, das den ganzen Körper mitnimmt.
Das Motiv lag hier wie oft auf der Strasse in Paris, in einem Plakat des berühmten Designers und Modefotografen Jean-Paul Goude, der mit dem clownesken Paar für die Galeries Lafayette geworben hat. Um zu begreifen, was mich an dieser Serie so fesselt, habe ich mich kurz beim Akrobatischen aufgehalten.
Was sind Akrobaten? Akrobaten teilen die heimliche Lust des Clowns, die Welt auf den Kopf zu stellen. Und das tun sie ebenso unschuldig wie gezielt; deshalb attestiert ihnen Kracauer in einem kleinen Text von 1932, dass sie praktische Dialektik betreiben: Sie täuschen einen Werkwillen vor, den sie doch fortwährend desavouieren. Das heisst, sie vollführen Kunststücke und lassen diese wie Improvisation und Zufall aussehen. Und hier meine ich trifft sich das Spiel dieses wechselseitig kopfstehenden Paars mit Susis Malarbeit, die genauso viel Interesse daran hat, ihr Spiel zu beherrschen und doch, einmal angesteckt von einer Farbfläche, einer Linie, einem Detail einfach weiterspielen muss.
Wie der Clown, dessen Mission es ist, die Hauptsache zur Nebensache zu machen und der ausprobiert, sich verliert, die Bagatelle verfolgt wie ein selbstvergessenes Kind. Die Clowns im Zirkus kommen deshalb immer nach den ernsthaften Trapez- und Dressurkünstlern und führen deren Fleiss ad absurdum. Alles nur ein Kinderspiel! So geschieht es in Flick-Flack, in welchem Susi einen Tanz auf die Leinwand zaubert, wir fühlen die Lust des Kopfstands, der Gesten, das Lachen: Dass hier der Kopf verloren geht, ist nicht wichtig, Hauptsache der Schuh sitzt! Die clowneske Fixierung auf das bestechende Detail dieses roten Schuhs führt uns eine Vertauschung von Haupt- und Nebensache vor Augen (hier wie in vielen der Bilder hier!) und diese Vertauschung ist spielerisch und zauberhaft – und ich finde es ausserordentlich stimmig, dass sich die Malerin dieser Bilder bisweilen wie eine Magierin zeigt. So zum Beispiel auch auf der Einladungskarte zu dieser ihrer Retrospektive: Ebenso zufällig wie präzis verhöhnt in diesem Porträt ein Laubbläser beiläufig das Geheimnis der Aura der Malerei, indem er die Künstlerin frontal erfasst und beinahe aus ihrer Malszene herausbläst.
Die Magierin und Malakrobatin Susi Juvan kennt den Scherz, der sich in allem verbergen kann. Doch mit dieser ihrer Akrobatik macht sie uns auch die Zweideutigkeit bewusst, die unserem Tun und Sehen innewohnt. Unsere Sehnsucht nach Wichtigkeit, Hierarchie und Ordnung und dann diese Erfahrung, dass das eigentlich Wichtige unscheinbar ist, dass das, was gerade bei den Ikonen der Werbung oder der Historienmalerei im Mittelpunkt steht, es eigentlich nicht verdient. Dies zu bewältigen, führt auch in die Melancholie. Melancholie und Komik oder Ironie sind ja nur zwei Ausdrucksweisen desselben Verhaltens, sie bedingen sich sogar. Und so führt dieses physische Erlebnis des Punctum und des Akrobatischen doch ein wenig vom Physischen weg – zum Metaphysischen der Kunst oder einfach zum Grandiosen dieser Malerei, vor der man sich manchmal einfach nur verbeugen möchte.