Madame auseinandergemalt

Die unvorhersehbaren Bilder der Freiburger Malerin Susi Juvan im Kunstverein Pforzheim im Reuchlinhaus
Eine Vase mit plissiertem Fuß. Ein geraffter Vorhang. Eine Frau im Abendkleid. Tänzerin, die eben in der Bewegung innehält, sich nunmehr als Statue vorstellt. Farben, die sich auf der Ebene einer schimmernden Glasscheibe sammeln. Wir wissen nicht, was für ein Motiv Susi Juvan aus Paris mitgebracht hat, damals 1990. Aber wir sehen, was sie draus gemacht hat. Wir sind ja immer schnell dabei, etwas beim Namen zu nennen. Zu sagen: Das ist das. Diese Malerin aber widersetzt sich. Sie sagt nichts. Sie sucht zu dem, was sie sieht, nicht gleich den Standpunkt. Sie malt und malt. Malerei, so betrachtet und betrieben, überwindet Grenzen und Sicherheit.
Wenn wir jetzt im Kubus im Reuchlinhaus in Pforzheim stehen in der Ausstellung der Freiburger Malerin im Kunstverein und »Nachbarschaft« aus der größeren Distanz betrachten, dann sehen wir ein anderes Bild. Nicht das Dach oder den Gebirgsstock wie gerade noch. Oft sind viele Bilder in einem bei ihr. Von Komplexion wäre zu reden. Bei andern Malern ist Grau ein nichtssagendes Ende von Malerei. Hier bei ihr ist selbst dies eine Summe, und selbst im grauen »Nocturne« noch ein Leuchten. »Pont Neuf« hat die Farben von einem welkenden Blumenstrauß. Etwas von kaltem Rot blüht noch, Pfingstrosen oder Astern oder Chrysanthemen. Das Katalogbuch zeigt fotografische Gedächtnishilfen der Malerin.
Die Kuppeln von Sacré-Cœur, die sie dann in Grau zum Schäumen bringt. Die Brückenbögen von Pont Neuf, die sich im Bild zur Partitur dehnen. Auch die Pariser Museumsvitrine findet sich im Foto wieder.
Was die Malerei damit anstellt, ist nun noch einmal an den Wänden zu sehen in den fünf großen Akten. Chinesisches Porzellan, in Reflexen von Gefäßkonturen und Dekor – das Blau der Glasur, Schraffuren, zeichnerische Reminiszenzen. Manchmal ist die Farbe so dünn, dass sie ausläuft, zum See wird.
Auf dem Farbwasserspiegel zeichnen sich Bildgedanken auf. Dann wirft die Malerin wieder einen Stein, und das Bild verwirrt sich und ordnet sich wieder. Improvisationen über ein Thema. Nicht die übliche Aneignungsathletik. Vielmehr ein Suchen, das sich als Erzählung erhält. Und alles scheint leicht, wie flüchtig. Und in dieser scheinbaren Flüchtigkeit in jedem Moment neu.
»Nie lassen sich den Bildgegenständen irgendwelche Bildbotschaften entnehmen«, schreibt Hans-Joachim Müller im Katalogbuch. Das »Motiv Bild werden zu lassen«, wünscht sich die Malerin, und dass es in der gewonnenen Form »noch vielgestaltig« sein möge, »begrifflich noch nicht erfasst«. »Ich will mich selbst aus der Bahn werfen«, beschreibt sie ihren Weg zum »unvorhersehbaren« Bild.
Im Pariser Musée Carnavalet hat sie ein Bild gefunden und ein so vom eigenen Vorsatz abgekoppeltes Bild draus gemacht. Vom Maler François Gérard geht sie aus und seiner »Madame Récamier« von 1802, dieser malerischen Mischung von nobler Distanz, erotischem Reiz und schönem Geist. Man kann nicht sagen, dass sie die Vorlage nicht ernst nimmt. Und doch trennt sie schon die Wahl des abweichenden Bildformats davon. Und was von dem schimmernden Bogenfeld dann abwärts passiert, zwischen Farbflackern, Dekolleté und Dämmerung, war nie und nimmer im Sinn des klassizistischen Meistermalers. Auseinandergemalt hat Susi Juvan die Madame. Müller weiß von einem langen Malprozess, Revisionen inklusive. Gérard lieferte den Plan, dann brauchte es Zeit, ihn gründlich zu unterlaufen.
Was herauskam, ist undurchschaubar: pures Anschauungsstück. »Reine Malerei«– ein altes Wort füllt sich neu mit Substanz. Wie bei dem »Louis XVI.« aus dem selben Jahr 2010. Nichts von dem absurden Auftritt der staatstragenden Larve beim Maler Callet ist da noch zu sehen. Aber dieser Ärmelaufschlag auf einmal, der schon auf dem Ausstellungsplakat ins Auge fiel, dies Smaragdgrün, das das Prunkgewand des Potentaten glatt in den Schatten stellt, dies Krapplack im rostbraunen Hof. Dieser Auftritt der Malerei.
Dass Europäer lebendige Dinge in Bildern totmalen, hört man Ostasiaten sagen. Wie Susi Juvan selbst tote Bilder lebendig werden lässt, das hat ungewöhnlichen Zauber.
– Das Buch zur Ausstellung: Susi Juvan – Malerei. Texte von Bettina Schönfelder und Hans-Joachim Müller. modo Verlag, Freiburg 2010. 64 Seiten, 24 Euro.